In seinem Urteil vom 19. Juli 2024 behandelt der BGH einen Fall aus dem Wohnungseigentumsrecht, in dem es um die rechtliche Gültigkeit eines Beschlusses einer Wohnungseigentümerversammlung geht. Im Zentrum des Streits steht die Frage, ob die Eigentümer in einer Versammlung berechtigt waren, eine Gesamtabrechnung und daraus resultierende Einzelabrechnungen des Hausgeldes zu genehmigen. Diese Frage berührt die seit dem 1. Dezember 2020 geänderten Regelungen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG).
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und Eigentümer von zwei Wohnungen. In einer Eigentümerversammlung am 28. Juli 2021 beschlossen die Eigentümer unter TOP 3, die Gesamtabrechnung und die Einzelabrechnungen des Hausgeldes für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 zu genehmigen. Die Abrechnungsspitzen sollten zum 1. September 2021 fällig werden.
Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Anfechtungsklage, die in erster Instanz vom Amtsgericht Böblingen abgewiesen wurde. Das Landgericht Stuttgart hingegen gab der Klage teilweise statt und erklärte den Beschluss für nichtig, da es den Eigentümern wegen der gewählten Formulierung an der notwendigen Beschlusskompetenz gefehlt habe. Die beklagte Gemeinschaft legte daraufhin Revision beim BGH ein.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts Stuttgart auf und stellte fest, dass der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung wirksam sei. Das Gericht führte aus, dass ein nach dem 30. November 2020 gefasster Beschluss, durch den „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes“ genehmigt werden, in der Regel so auszulegen ist, dass die Eigentümer lediglich über die Höhe der in den Einzelabrechnungen ausgewiesenen Nachschüsse oder über die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse entscheiden wollen. Diese Auslegung entspricht der seit dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung des § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG.
Nach dieser Regelung beschließen die Wohnungseigentümer nach Ablauf des Kalenderjahres über Nachschüsse oder Anpassungen von Vorschüssen, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan erforderlich sind. Das Zahlenwerk der Abrechnung, aus dem diese Zahlungspflichten abgeleitet werden, ist nicht Gegenstand der Beschlussfassung, sondern dient lediglich der Vorbereitung.
Der BGH betonte, dass Beschlüsse im Wohnungseigentumsrecht objektiv und „aus sich heraus“ auszulegen sind. Maßgeblich ist, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter zu verstehen ist. Dabei wird unterstellt, dass die Wohnungseigentümer keinen rechtswidrigen Beschluss fassen wollen. In diesem Sinne ist ein Beschluss, der „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen“ genehmigt, so zu verstehen, dass damit lediglich die Abrechnungsspitzen, also die Nachschüsse oder die Anpassung der Vorschüsse, beschlossen werden sollen.
Der BGH hat in seinem Urteil somit klargestellt, dass Beschlüsse, die nach dem 30. November 2020 gefasst wurden und sich auf die Genehmigung von Jahresabrechnungen beziehen, grundsätzlich dahingehend auszulegen sind, dass sie lediglich die Höhe der Nachschüsse oder die Anpassung der Vorschüsse betreffen. Die Genehmigung des zugrundeliegenden Zahlenwerks ist nicht mehr Gegenstand der Beschlussfassung. Das Urteil stärkt somit die Rechtssicherheit im Wohnungseigentumsrecht, indem es die Auslegung solcher Beschlüsse klar definiert und die Rechte der Wohnungseigentümer präzisiert.
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