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AutorenbildRA Kai Recklies

BGH trifft Entscheidung über Verteilung von Prozesskosten bei Beschlussanfechtungsverfahren


(BGH, Urteil vom 19. Juli 2024 - V ZR 139/23)


Im Jahr 2021 fochten die Klägerinnen einen von der Eigentümerversammlung gefassten Beschluss vor dem Amtsgericht Rostock an. Das Amtsgericht gab den Klägerinnen in diesem Vorprozess Recht und verpflichtete die Eigentümergemeinschaft, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Jahr 2022 beschlossen die Eigentümer, diese Verfahrenskosten durch eine Sonderumlage zu decken. Die Klägerinnen, die auch zu dieser Sonderumlage herangezogen werden sollten, erhoben daraufhin erneut Klage, um diesen Beschluss anzufechten.


Vor dem Amtsgericht Rostock blieb die Anfechtungsklage der Klägerinnen erfolglos. In der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Rostock bekam jedoch eine der Klägerinnen Recht. Die Eigentümergemeinschaft legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein, der den Fall neu prüfte und letztlich die Entscheidung des Amtsgerichts wiederherstellte, sodass die Anfechtungsklage der Klägerinnen endgültig abgewiesen wurde.


Der BGH stützt seine Entscheidung auf die Regelungen der Gemeinschaftsordnung und des Wohnungseigentumsgesetzes. Der Beschluss über die Erhebung einer Sonderumlage zur Deckung der Prozesskosten aus dem Vorverfahren entspräche den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, so der BGH. Nach dem in der Gemeinschaft geltenden Kostenverteilungsschlüssel müssen die Prozesskosten des Vorprozesses, auch wenn diese durch das erfolgreiche Anfechtungsverfahren der Klägerinnen entstanden sind, auf alle Miteigentümer – einschließlich der Klägerinnen – verteilt werden.


Der Begriff der „Verwaltungskosten“, wie er in der Gemeinschaftsordnung verwendet wird, sei im Einklang mit der geltenden gesetzlichen Regelung auszulegen. Hierzu sei § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG heranzuziehen, der zum Zeitpunkt des Beschlusses über die Sonderumlage galt. Laut dieser Norm sind alle Verwaltungskosten – wozu auch die Prozesskosten gehören – gleichmäßig auf die Miteigentümer zu verteilen, unabhängig davon, ob sie als Kläger in einem Verfahren gegen die Eigentümergemeinschaft erfolgreich waren.


Die Klägerinnen hatten argumentiert, dass es unfair sei, sie an den Kosten eines Verfahrens zu beteiligen, das sie gewonnen haben. Zudem vertraten sie die Ansicht, dass es nicht ordnungsgemäße Verwaltung sei, eine solche Umlage ohne Berücksichtigung des individuellen Ausgangs des Vorprozesses zu beschließen. Dieser Argumentation folgte das Landgericht, indem es die Verteilung der Kosten auf die Klägerinnen als unzulässige Ausübung des Ermessens betrachtete.


Der BGH wies diese Argumente zurück und stellte klar, dass § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG keine Differenzierung zwischen obsiegenden und unterlegenen Parteien vorsieht, wenn es um die Verteilung von Verwaltungskosten geht. In der seit Einführung des WEMoG zum 01.12.2020 geltenden Rechtslage sei die Eigentümergemeinschaft die Partei im Prozess, und die Verfahrenskosten seien Verwaltungskosten der Gemeinschaft. Diese müssten folglich auf alle Eigentümer verteilt werden. Eine Einschränkung der Norm sei aus Wertungsgesichtspunkten nicht geboten. Es sei zwar nachvollziehbar, dass diese Regelung potenzielle Kläger davon abhalten könnte, gegen Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft vorzugehen, jedoch handele es sich hierbei nicht um eine gesetzliche Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe bewusst die Möglichkeit der Umlage auch auf obsiegende Kläger vorgesehen, um die einheitliche Verwaltung der Gemeinschaft sicherzustellen.


Die Klägerinnen hatten weiter argumentiert, dass die im Vorprozess ergangene Kostenentscheidung die Grundlage für die Kostentragungspflicht sei und daher eine Sonderumlage nicht zulässig sei. Der BGH verneinte dies. Die Entscheidung des Vorprozesses habe zwar Rechtskraft, sie bestimme aber lediglich, wer die Verfahrenskosten zunächst zu tragen habe. Die Gemeinschaftsordnung und das WEG regelten jedoch die Verteilung dieser Kosten im Nachgang, wodurch die Klägerinnen dennoch an den Kosten beteiligt werden können. Ob die Klägerinnen im Rahmen eines eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruchs gegen die Gemeinschaft einen Erstattungsanspruch geltend machen können, ließ der BGH offen, da dies nicht Gegenstand des Verfahrens war.

Schließlich entschied der BGH, dass es der Eigentümergemeinschaft auch nicht an einem notwendigen Ermessensspielraum gefehlt habe. Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG ist es zwar möglich, einen abweichenden Kostenverteilungsschlüssel zu beschließen, dies müsse aber vor der Erhebung einer Sonderumlage geschehen. Da ein solcher Beschluss nicht gefasst wurde, sei die Anwendung des bestehenden Verteilungsschlüssels ordnungsgemäße Verwaltung. Der BGH stellte klar, dass es den Eigentümern freistehe, an ihren bestehenden Vereinbarungen festzuhalten, und dass sie nicht verpflichtet seien, bei jeder Beschlussfassung eine potenzielle Änderung der Vereinbarungen in Betracht zu ziehen.


Folgen für die Praxis:


Das Urteil des BGH stellt klar, dass die Verfahrenskosten von Anfechtungsklagen, selbst wenn einzelne Eigentümer erfolgreich klagen, auf alle Eigentümer umgelegt werden können, sofern die Gemeinschaftsordnung dies vorsieht. Dies gilt unabhängig von der Rolle des Eigentümers im Vorprozess, sodass selbst die Kläger zur Deckung der Kosten herangezogen werden können. Diese Regelung könnte potenzielle Kläger abschrecken, da sie im Falle eines Erfolgs dennoch finanziell belastet werden.


Gleichzeitig betont der BGH, dass die Eigentümergemeinschaft nur dann einen abweichenden Kostenverteilungsschlüssel anwenden kann, wenn dies zuvor ausdrücklich beschlossen wurde. Es ist also entscheidend, dass die Eigentümer vorab eine mögliche Abweichung diskutieren und beschließen. Diese Klarstellung stärkt die Verbindlichkeit bestehender Vereinbarungen und schafft Rechtssicherheit, könnte aber gleichzeitig zu einer gewissen Hemmung führen, gegen gemeinschaftliche Beschlüsse vorzugehen.


Ob sich die Entscheidung tatsächlich auf die „Anfechtungsfreude“ von Gemeinschaftsmitgliedern auswirkt, wird die Zukunft zeigen.

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