Im Rahmen seines Urteils 27.09.2024 (V ZR 48/23) befasste sich der BGH mit der Frage, ob ein dingliches Vorkaufsrecht Vorrang vor einem gesetzlichen Mietervorkaufsrecht genießt, wenn das dingliche Vorkaufsrecht für einen Familienangehörigen (hier: die geschiedene Ehefrau) bestellt wurde. Der BGH hebt ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.
Die Klägerin (geschiedene Ehefrau) und der Beklagte (geschiedener Ehemann) hatten im Zuge der Vermögensaufteilung nach ihrer Scheidung dingliche Vorkaufsrechte an den jeweils zugeteilten Wohnungseigentumseinheiten vereinbart. Der Beklagte verkaufte eine Wohnung, an der die Klägerin ein dingliches Vorkaufsrecht hatte, an einen Dritten. Ein Mieter der Wohnung übte sein gesetzliches Vorkaufsrecht (§ 577 BGB) aus und wurde Eigentümer. Die Klägerin klagte auf Übertragung des Wohnungseigentums an sie.
Das Berufungsgericht (OLG Dresden) wies die Klage ab und argumentierte, das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters gehe dem dinglichen Vorkaufsrecht der Klägerin vor. Der BGH hob dieses Urteil jedoch auf.
Er stellte hierbei klar, dass ein dingliches Vorkaufsrecht, das zugunsten eines Familienangehörigen bestellt wurde, dem gesetzlichen Vorkaufsrecht eines Mieters gemäß § 577 BGB vorgeht.
Dabei wurde präzisiert, dass Ehepartner weiterhin als Familienangehörige im Sinne von § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB gelten. Weiter sei es unerheblich, ob das dingliche Vorkaufsrecht erst nach der Vermietung bestellt wurde. Der BGH betonte, dass das gesetzgeberische Ziel des § 577 BGB – Schutz von Familienangehörigen bei Vermögensübertragungen – auch in solchen Konstellationen greife.
Das Berufungsgericht muss nun prüfen, ob die Klägerin ihr Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat und ob die weiteren Voraussetzungen für die Eigentumsübertragung erfüllt sind. Außerdem sind die weiteren Ansprüche der Klägerin (u. a. Zahlung von Mieten und Schadensersatz) erneut zu prüfen.
Folgen für die Praxis:
Stärkung dinglicher Vorkaufsrechte:
Das Urteil stellt klar, dass dingliche Vorkaufsrechte von Familienangehörigen selbst dann Vorrang haben können, wenn sie nach der Vermietung der Wohnung bestellt wurden. Dies stärkt die Rechte von Personen, die im Rahmen familienrechtlicher Vereinbarungen begünstigt wurden.
Einschränkung des Mieterschutzes:
Das gesetzliche Mietervorkaufsrecht wird durch diese Rechtsprechung begrenzt. Vermieter können durch die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts für Angehörige den Vorrang des Mietervorkaufsrechts umgehen.
Relevanz für die Vertragsgestaltung:
Bei der Gestaltung von Verträgen sollte sorgfältig geprüft werden, ob und wie dingliche Vorkaufsrechte im Grundbuch eingetragen werden, insbesondere wenn Mieter vorhanden sind.
Aber: Weiterhin Unsicherheiten in der Praxis!
Obwohl das Urteil Klarheit für die Vorrangregelung schafft, bleiben praktische Herausforderungen, insbesondere bei der zeitlichen Koordination von Vorkaufsrechten. Die notarielle und rechtliche Begleitung bei der Ausübung von Vorkaufsrechten gewinnt an Bedeutung.
Comments