Das AG München (Urteil vom 02.03.2017, 424 C 26626/16) hat entschieden, dass das Recht des Vermieters auf Räumung einer Wohnung verwirkt ist, wenn er über 13 Jahre hinweg die Zwangsräumung nicht veranlasst.
Die beklagte Gemeinde im Landkreis München vermietete an das klagende Ehepaar seit Anfang 2000 eine gemeindliche Wohnung. Die beiden mittlerweile volljährigen Kinder des Ehepaares wohnten seit Beginn des Mietverhältnisses bzw. ihrer Geburt ununterbrochen in der Wohnung. Wegen Mietrückständen in Höhe von 3.671 Euro erwirkte die Gemeinde gegen die Familie am 13.05.2003 ein Räumungsurteil. Von der Zwangsvollstreckung des Räumungstitels sah die Gemeinde zunächst aufgrund der Fürsprache der Eltern- und Jugendberatungsstelle des Landratsamtes ab. Diese hatte sich bei der Gemeinde dafür einsetzgesetzt, dass der Familie die Wohnung erhalten bleibt, um eine Entwurzelung der Kinder zu vermeiden.
Hintergrund war, dass sich die seinerzeit noch minderjährige Tochter des Ehepaars in sozialpädagogischer Betreuung befand und auch der Sohn, der damals die örtliche Grundschule besuchte, nach Ansicht der Eltern- und Jugendberatungsstelle durch einen Umzug eine Erschütterung erfahren hätte, die gerade erreichte Entwicklung zur Ermöglichung eines regulären Schulalltags zunichte gemacht hätte. Auch nach dem Räumungsurteil zahlte das Ehepaar die Mieten nur unregelmäßig und nicht vollständig, so dass erhebliche Mietrückstände aufgelaufen sind. Mit Schreiben vom März 2016 wurden "nach Durchsicht der Mieterkonten" – so wörtlich in dem Schreiben – die Zahlungsrückstände bei dem Ehepaar angemahnt, unter anderem die "Soll-Miete" für Januar, Februar und März 2016. Ende 2016 beauftragte die Gemeinde einen Gerichtsvollzieher mit der Räumung der Wohnung. Das Ehepaar erhob Vollstreckungsabwehrklage gegen die Gemeinde.
Das AG München hat der Familie Recht gegeben.
Nach Auffassung des Amtsgerichts ist das Recht der Gemeinde auf Räumung der Wohnung aus dem Urteil von 2003 verwirkt. Die Mieter als juristische Laien durften sich vielmehr, da von "Mieterkonten" und "Soll-Miete" und nicht ausstehender Nutzungsentschädigung die Rede sei, darauf verlassen, dass die Stadt endgültig von einer Vollstreckung aus dem Räumungstitel Abstand genommen hatte. Hinzu komme noch, dass ein solches Abstandnehmen (wenn auch damals von der Beklagten nicht auf Dauer beabsichtigt) ja auch bereits im Jahr 2003 geschehen war, als die Stadt auf Betreiben der Eltern- und Jugendberatungsstelle hin nach eigenem Bekunden zunächst von einer Vollstreckung Abstand genommen hatte. Für die Kläger war nicht ersichtlich, dass die Stadt ab einem bestimmten Zeitpunkt nun doch vollstrecken wollte, vielmehr war das Schreiben aufgrund seiner Formulierung geeignet, das Vertrauen der Kläger darin zu bestätigen, die Stadt werde auch jetzt nicht vollstrecken. Die Gründe, warum die Stadt damals auf eine Vollstreckung verzichtet hatte, bestünden schon seit langer Zeit nicht mehr, ohne dass aus dem Verhalten der Stadt jemals ein Umschwung dahingehend ersichtlich geworden wäre, dass deshalb nunmehr doch vollstreckt werden sollte.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des AG München v. 25.08.2017